Die Romantik ist eine Epoche des Umbruchs, in der sich eine ganze Generation von Malern, Dichtern, Philosophen und Musikern auf die Suche nach einer neuen Ordnung begibt und die ästhetischen, aber auch die politischen Konzepte auf die Probe stellt. Nicht die Einheitlichkeit, vielmehr die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz der Ideen prägen das romantische Denken. Im Vertrauen auf das eigene Gefühl vollzieht es die Abkehr vom Vernunftgebot der Aufklärung, entdeckt das Fragmentarische und begeistert sich für die innige Freundschaft und Liebe. Andere Themen und Motive geraten mit der Reflexion auf das selbstverantwortliche Subjekt in den Blick der Künstler, die auf ihren Reisen ein verändertes Verständnis der Natur entwickeln und vor der vertrauten Landschaft erproben.
Die Ausstellung Spiegel der Seele. Landschaftszeichnungen der Romantik entfaltet anhand von hochkarätigen Handzeichnungen
und Ölskizzen die lebendige Vielfalt des künstlerischen Schaffens dieser komplexen Epoche. Gezeigt werden über 90 Werke von herausragenden Vertretern der Zeit aus dem Bestand der Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorf. Zu sehen sind Blätter u. a. von den Brüdern Andreas und Oswald Achenbach, Carl Blechen, Carl Gustav Carus, Friedrich Nerly, Ernst Ferdinand Oehme, Heinrich Reinhold, Ludwig Richter, Johann Wilhelm Schirmer sowie Wilhelm Leibl und Adolph Menzel. Zeitlich spannt sich der Bogen des Rundgangs von einem skizzenhaften Blatt des Jakob Philipp Hackert von 1776 bis zu einer aquarellierten Bleistiftzeichnung des Caspar Johann Nepomuk Scheuren aus dem Jahr 1878.
Erstmals widmet sich die Galerie Stihl Waiblingen mit dieser Ausstellung der romantischen Strömung und dem ihr eigenen
künstlerischen Ausdrucksmittel der Handzeichnung. In einer exquisiten Auswahl von Werken verfolgt sie die Errungenschaften der Zeit: die Ablösung von den idealen Landschaften der Vorgänger, den akademischen Lehrern Adrian Zingg oder Joseph Anton Koch, und die Hinwendung zur Darstellung von Empfindungen, mit der sich die Wiedergabe der Landschaften wandelt. Im Freien zeichnend fangen die Maler atmosphärische Stimmungen ein und halten auf ihren Blättern elementare Naturgewalten, topografische Eigenheiten, die Schönheit des erlebten Augenblicks, vor allem aber das im Inneren Empfundene fest. Der Blick in die Natur wird zum Spiegel der Seele.
Einsamkeit und Sehnsucht, Nachtbegeisterung und Traumfantasien bestimmen die Bilder. Deren oft flüchtige Malweise lenkt die Aufmerksamkeit auf die sich ständig verändernde Natur und die wechselnden Wettersituationen, denen die Künstler technisch
gerecht zu werden suchen. Zugleich drückt sich im unmittelbaren Duktus der Skizzen die Mobilität der reisenden Künstler aus. Vom Spaziergang zur Wanderschaft über die Kutschfahrt bis zur Reise in weite Fernen werden mit der zunehmenden Beschleunigung im Laufe des 19. Jahrhunderts die Möglichkeiten der Landschaftsmalerei ausgelotet.
Neben der „paysage intime“ und der schnellen Tusche- oder Bleistiftskizze entstehen Detailstudien von Bäumen, Steinen,
Wasserfällen und Wolken. „Wir verliebten uns in jeden Grashalm, in jeden zierlichen Zweig und wollten keinen ansprechenden Zug uns entgehen lassen (…)“, notiert Ludwig Richter in seinen Lebenserinnerungen. So wie das Beiläufige in das Zentrum rückt, verschiebt sich das einst geordnete Verhältnis zwischen der objektiven Außenwelt und der subjektiven Innenwelt zu einem stetigen Wechselspiel der Beobachtung von Ich und Welt. Der Blick aus dem Fenster oder Ruinen-Architekturen bringen die Erfahrung, dass die Wirklichkeit nur als Fragment vor- und darstellbar ist, zur Sprache. Die Ausstellung zeigt mit Werken von 47 Künstlern die zuvor nicht gekannte künstlerische Vielfalt der romantischen Bildproduktion und vermittelt die Faszination der Zeichnungen der Romantik zwischen Innovation und Tradition. Sie präsentiert mit den Düsseldorfer Malern und Protagonisten aus anderen Zentren der bis dahin wenig geschätzten Landschaftskunst, aus München, Dresden und Berlin, alle zentralen Themen und Motive, um die Entwicklung der Gattung und das Experimentieren mit
der Technik für die Besucher erfahrbar zu machen.