Die Galerie Stihl Waiblingen zeigt in Zusammenarbeit mit der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde eine Ausstellung zur Druckgrafik des Expressionisten Emil Nolde (1867-1956). Das druckgrafische Werk bildet einen eigenständigen, durch künstlerische Individualität und großen Facettenreichtum geprägten Bereich innerhalb Noldes Schaffen und ist zugleich eng mit seinem malerischen Werk verbunden. Die Ausstellung nimmt die spezifischen Qualitäten der Grafik des Malers in den Blick und lässt die thematischen Schwerpunkte seiner Arbeit erfahrbar werden.
»Die Graphik soll mit gleicher Liebe und Hingebung entstehen, wie die Bilder …« (Emil Nolde)
Das druckgrafische Werk Emil Noldes, das über 500 Radierungen, Holzschnitte und Lithografien umfasst, ist weitgehend ab 1905 innerhalb der folgenden 20 Schaffensjahre entstanden. Konzeptionell und stilistisch in der Grafik des Expressionismus verortet, unterscheidet sich Noldes Druckgrafik aufgrund der ausgesprochen malerischen Bildwirkungen deutlich von den stärker grafisch geprägten Arbeiten seiner Zeitgenossen wie Ernst Ludwig Kirchner oder Erich Heckel. Emil Noldes Grafik ist zum einen durch die virtuose technische Beherrschung der verwendeten Druckverfahren geprägt und fasziniert gleichzeitig besonders durch die Lust des Künstlers am Experimentieren mit den
malerischen Möglichkeiten der unterschiedlichen druckgrafischen Methoden, mit verschiedenen Zuständen sowie mit farbigen Variationen:
»Farben wurden verschrieben, verrieben, und ich stand immerzu zeichnend, ätzend, schleifend, mischend, abwägend, umschaltend in Farben und Farben und von der Presse die großen Bilder hervorholend, fast alle in verschidensten Nuancen und Zuständen.« (Emil Nolde)
Noldes gesamtes grafisches Werk zeichnet sich in außergewöhnlichem Maße durch malerische Qualitäten aus. Die für Emil Noldes Radierungen, Holzschnitte und Lithografien jeweils charakteristischen künstlerischen Ansätze werden in der Ausstellung anhand zentraler Werkgruppen vorgestellt. Alle drei Techniken werden in größeren zeitlichen Abständen umgesetzt und lassen sich thematisch gruppieren. Den Sujets, die Nolde in seiner Malerei behandelt, begegnet man weitgehend auch in seiner Grafik: Bildnissen, Selbstporträts, Typengestalten, überwiegend der nordfriesischen Landschaft, dem Meer und dem Stadtmenschen – häufig in Verbindung mit dem Tanz. Stillleben und Blumendarstellungen hingegen tauchen im grafischen Schaffen Noldes nicht auf.
Noldes Druckgrafik beginnt im Jahr 1905 mit Radierungen. Der Künstler arbeitet in der Technik der Radierung sehr individuell: durch mehrmaliges Anwenden der Ätztechnik werden malerische Effekte erzeugt. Die Metallplatte wird wiederholt der Säure ausgesetzt, häufig nach Überarbeitungen mit der Radiernadel.
Inspiriert von seiner Mitgliedschaft in der Künstlergruppe Brücke widmet sich Nolde 1906 erstmals dem Holzschnitt. Der Künstler erkennt im Holzschnitt den Vorteil, bei der grafischen Vervielfältigung unabhängig von Druckwerkstätten sein zu können. Des Weiteren liegt der
Reiz in der Lebendigkeit des Materials Holz, weshalb er beispielsweise den Linolschnitt verschmäht. Auch in Noldes Holzschnitt – der, so E. L. Kirchner, „graphischste[n] der graphischen Techniken“ – lassen sich pittoreske Züge erkennen. Einige Druckstöcke werden sogar unmittelbar mit Tusche und Pinsel bearbeitet und ersetzen somit die Vorzeichnung auf malerische Weise. Ein weiteres Jahr später, im Jahr 1907, beginnt Nolde mit der Lithografie zu arbeiten. In dieser Technik geht Nolde im Laufe der Zeit ebenfalls dazu über, mit Farbe und Pinsel direkt auf den Stein zu malen: „Erst, wenn der Maler auf dem Stein selbst schaffend arbeitet, erlebt er den Reiz der Technik und die weitgehendsten Möglichkeiten.“ (Emil Nolde). Noldes Farblithografien gehören zu den Höhepunkten der Lithografie in Deutschland vor 1945 – und das nicht nur aufgrund der ungewöhnlich großen Formate.
Die in der Ausstellung gezeigten Werkblöcke vermitteln dem Besucher neben den gestalterischen Charakteristika der Grafik Emil Noldes auch die wesentlichen Themenfelder seines Schaffens. Ergänzend zu den für die Brücke-Künstler typischen Motiven wie Akt, Porträt oder Landschaft sind für Noldes Werk insbesondere biblische Themen sowie erzählerisch-fantastische Szenen charakteristisch, welche dem Betrachter tiefgründige, teils groteske Welten aufzeigen. Noldes sogenannte Phantasien und Grotesken lassen sich in seinem gesamten künstlerischen Werk wiederfinden. Neben bizarren Gestalten, die der Künstler in der Radierung schafft, zeigt die Ausstellung frühe Märchenholzschnitte, die aufgrund nachträglicher Kolorierung durch ihre Farbigkeit bezaubern. Oftmals stellt Nolde inhaltliche Gegensatzpaare gegenüber, wie in dem Blatt Prinzess und Bettler. Den Künstler reizt eine freie Gestaltung, die der Fantasie entspringt.
»Malen nach einem Naturvorbild und etwas Technik kann ein jeder mehr oder weniger gut lernen. Phantastisch schaffen kann nur der, den hierzu Begabung treibt.« (Emil Nolde)
Durch die in der Ausstellung gezeigten Grafiken Emil Noldes werden somit nicht nur die Eigenständigkeit und Eigenwilligkeit des Künstlers im Umgang mit den Techniken Radierung, Holzschnitt, Lithografie deutlich, sondern ebenso der Erfindungsreichtum in der Gestaltung seiner Sujets.