Graphic Novels. Aktuelle Deutsche Comic-Romane

29. September 2018 bis 6. Januar 2019

Im Herbst 2018 rückt die Galerie Stihl Waiblingen das Medium der Graphic Novel als eine ganz besondere Form der Bildund Erzählkunst in den Fokus. Diese grafischen Erzählungen stellen mit ihrer Verbindung von Text- und Bildelementen eine Untergruppe des Comics dar. In ihrer künstlerischen Gestaltung sowie in der Komplexität der oftmals literarischen Inhalte erweitern Graphic Novels das klassische Comic-Heft um eine neue Dimension. Mit anspruchsvollen romanhaften Erzählungen richten sie sich an ein vorwiegend erwachsenes Publikum. Die Ausstellung stellt zeitgenössische, national wie international bedeutende Vertreter sowie eine Auswahl herausragender Newcomer der deutschsprachigen Graphic-Novel-Szene vor. Mit Originalzeichnungen und Probedrucken gibt die Schau exklusiven Einblick in die Entstehung der Bücher und beleuchtet die Absichten und Arbeitsweisen der Künstlerinnen und Künstler. Eindrucksvoll zeigt sich, wie unterschiedlich diese an ihre Projekte herangehen, wie vielfältig ihre Gestaltungsmittel, Erzählweisen und zeichnerischen „Handschriften“ sind. Imposante Bildwelten von verblüffendem Detailreichtum treffen auf pointiert verknappte Schwarzweiß-Szenen und farbintensive, expressive Grafiken. Ergänzend laden die so entstandenen Bücher zum Schmökern ein. Den Auftakt bilden Aquarelle des Grafikers und Illustrators Hans Hillmann, eines Wegbereiters der deutschen Graphic Novel, zu seinem Buch Fliegenpapier aus den 1970er-Jahren. Seine Adaption einer Kriminalgeschichte von Dashiell Hammett gilt als epochales Meisterwerk in der Bildsprache des Film Noir.

Einem literarischen Stoff widmet sich auch Jakob Hinrichs, der in Der Trinker Motive aus Hans Falladas gleichnamigem Roman mit der Biografie des Schriftstellers verquickt. Morbide schwarzhumorig und lyrisch experimentell zugleich wirken dagegen die Zeichnungen von Nicolas Mahler zu einem frühen Text der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Ausgezeichnet mit dem Max und Moritz Preis 2018 als bester deutschsprachiger Comic-Künstler, ist Reinhard Kleist mit einer Graphic Novel zu Person und Werk des Rockstars Nick Cave vertreten. In detailverliebten Bleistiftzeichnungen, für die sie das kriegszerstörte historische Hannover rekonstruierte, erzählt Isabel Kreitz die Geschichte des bestialischen Serienmörders Fritz Haarmann. Ulli Lust wiederum versetzt die Leserschaft in die Zeit des Dritten Reichs: In Flughunde, nach dem Roman von Marcel Beyer, verschränkt sie die Erlebnisse eines Tontechnikers im Dienste der Nationalsozialisten mit der Geschichte der ältesten Goebbels-Tochter Helga. In poetischen Aquarellen lenkt Barbara Yelin den Blick auf die Bewohnerin eines Seniorenheims, die ihre Lebenserinnerungen Revue passieren lässt, während Antonia Kühn in ambivalenten Stimmungsbildern die Geschichte eines kleinen Jungen auf der Suche nach verschütteten Erinnerungen an die verstorbene Mutter erzählt. Lukas Jüliger zeigt–weitab von gewohnten Klischees–in einer verstörend surreal anmutenden Coming-of-Age-Geschichte die Entstehung einer Liebe am Ende der Jugend. In die Abgründe einer traumatisierenden Kindheit im erzkatholischen Oberbayern hingegen blickt der Leser im autobiografischen Erstlingswerk Sonja Schlappingers. Birgit Weyhe berichtet über ihre persönlichen Eindrücke als „Fremde“ im Ostafrika der 1970er-Jahre, während Olivier Kugler in einer Comic-Reportage die Insassen von Flüchtlingslagern mit ihren ganz persönlichen Geschichten in den Fokus rückt. Fantastisch-mythische Welten erschließt Felix Pestemer mit seinem noch unveröffentlichten Werk Drachenei im Stammhirn. Darin spürt er der kulturgeschichtlichen Frage nach, wie der Drache in die Welt kam. Aus der Perspektive einer aufmerksamen Naturbeobachterin befragt Anke Feuchtenberger in ausdrucksstarken, rätselhaften Kohlezeichnungen sowie in mehreren Zeit- und Handlungssträngen unser Verhältnis zu einer künstlich erhaltenen oder rekonstruierten Natur. Mitten hinein in den Stadtraum führt Paula Bullings Essay über einen Tag im nordafrikanischen Algier, gefasst in berückend schönen Buntstiftzeichnungen. Sonnig grelles Licht, sandige Farbigkeit und architektonisch anmutende Linienführung lassen dabei an die malerischen Experimente Paul Klees oder Willi Baumeisters denken. Mit erfrischendem Witz warten Max Baitinger und Anna Haifisch auf: Während Baitinger die Tücken und Dramen des Alltags neurotischer Stadtmenschen schildert, erzählt Haifisch mit einer gehörigen Portion Selbstironie vom Künstlerdasein. Anhand fesselnder Geschichten und beeindruckender Bilder zeigt die Galerie Stihl Waiblingen so die enorme Bandbreite aktueller deutschsprachiger Graphic Novels.

Die Ausstellung wurde konzipiert vom Horst-Janssen-Museum Oldenburg und für die Präsentation in Waiblingen um weitere künstlerische Positionen ergänzt. Zu sehen sind Leihgaben des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin, der Erich Ohser – e.o. plauen Stiftung, des Stadtmuseums Oldenburg, sowie der Künstlerinnen und Künstler selbst.