Die Galerie Stihl Waiblingen zeigt in Kooperation mit der Graphischen Sammlung des Museum Kunstpalast, Düsseldorf, vom 18. Februar bis 14. Mai 2017 Werke des deutsch-amerikanischen Malers und Grafikers Lyonel Feininger (1871–1956). Über 80 Arbeiten stellen das gesamte grafische Spektrum dieses bedeutenden Künstlers der Klassischen Moderne vor. Karikaturen, Zeichnungen, Aquarelle, Radierungen, Lithografien und Holzschnitte geben einen repräsentativen Einblick in die stilistische Entwicklung von Feiningers Œuvre. Sein Werk nimmt eine einzigartige Stellung inmitten der künstlerischen Tendenzen zu Anfang des 20. Jahrhunderts ein wie der Avantgarde des Futurismus, des Kubismus oder des Expressionismus. In New York geboren und aufgewachsen, kommt Lyonel Feininger 1887 nach Deutschland, um ein Violinstudium aufzunehmen. Seine Eltern waren beide aus Deutschland stammende Musiker. Rasch entscheidet sich Feininger in Hamburg aber für eine Laufbahn als bildender Künstler und feiert bald darauf in Berlin als Karikaturist und Comiczeichner für deutsche, amerikanische und französische Zeitschriften Erfolge. Sein grafisches Frühwerk ist bestimmt von der skurrilen Welt seiner Zeichnungen für Witzblätter und Zeitungsbeilagen. Sie kennzeichnet ein ungewöhnlicher Umgang mit Proportionen. Auch in seinen späteren freien Arbeiten folgt Feininger weiterhin weder den starren Regeln der Zentralperspektive noch der Verwendung von naturalistischen Farben. Seine Kompositionen fügen sich aus verschiedenen Einzelstudien zusammen, indem er einmal notierte Motive wie die mittelalterliche Stadt, dahineilende Menschen oder Schiffe zu immer wieder neuen Darstellungsmöglichkeiten zusammenfügt. Die Variation ist das dominierende Prinzip seiner von Gegensätzen geprägten Bilderwelt. Ein Vertrag mit der Chicago Sunday Tribune für zwei ComicStrip-Serien, darunter Wee Willie Winkie’s World, ermöglicht Feininger größere Unabhängigkeit und künstlerische Freiheiten. Er entscheidet sich für das Wagnis, ohne Auftrag zu arbeiten, unterstützt durch seine zweite Frau Julia Berg (1881–1970), die er nach gemeinsamen Jahren in Paris und Weimar 1908 in London heiratet. In Paris macht er die Bekanntschaft mit Robert Delaunay (1885–1941) und Henri Matisse (1869–1954) und malt erste Ölbilder. 1911 stellt Feininger zusammen mit den Kubisten auf dem Pariser Salon des Artistes Indépendants aus.
Es folgen Ausstellungen in Berlin mit den Künstlern des Blauen Reiters und Freundschaften mit Alfred Kubin (1877–1959) sowie den Brücke-Künstlern Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) und Erich Heckel (1883–1970). In Weimar, wo Julia an der Kunstgewerbeschule studierte, setzt sich Feininger mit verschiedenen Drucktechniken auseinander und fertigt Lithografien und Radierungen. Ab 1918 entstehen die ersten seiner zahlreichen Holzschnitte mit Ansichten thüringischer Dörfer und Kirchen. Nach einer Einzelausstellung in der Berliner Galerie Der Sturm mit Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen wird Feininger von Walter Gropius (1883-1969) als Leiter der Druckwerkstätten an das Staatliche Bauhaus nach Weimar berufen und arbeitet mit Paul Klee (1879-1940), Wassily Kandinsky (1866-1944) und Alexej von Jawlenksky (1864-1941) zusammen. 1919 entwirft er den Titelholzschnitt für das Bauhaus-Manifest, und es entstehen unter seiner Leitung die ersten Bauhaus-Mappen Neue europäische Graphik. Zu den markanten Motiven der Holzschnitte zählen Feiningers Ansichten der Stadt Halle und der Kirche von Gelmeroda.
Auch andere kleine Städte stellt der Künstler immer wieder dar, indem er die einmal entdeckten Motive aufgreift, das Spiel von Linie und Fläche aber variiert. Auf Ausflügen in die Umgebung von Weimar hält er seine Beobachtungen in spontanen Skizzen fest. Die mit Bleistift, Kohle, Buntstift und farbigen Kreiden gefertigten „Natur-Notizen“ dienen ihm noch Jahrzehnte später, nach der Rückkehr nach Amerika 1937, als Fundus und unerschöpfliche Ideenquelle. Manche Motive kehren in freier Gestaltung völlig verschiedenartig wieder: Rhythmus, Form und Farbe konstruieren den Bildraum vom skizzenhaft angelegten Blatt bis zur durchkomponierten Zeichnung. Mit linearen Strukturen oder prismatischen Formen erfasst er die Gebäude der Dorfkirchen, Rathäuser und Stadttore und gibt im Wechsel von wenigen Linien zu großen Flächen facettenreiche Ansichten von Pariser Stadthäusern wieder. Während sich seine Architekturdarstellungen aus kristallin überlagerten Flächen zusammensetzen, führen die Federzeichnungen eine humor- und stimmungsvolle Wahrnehmung der Wirklichkeit vor Augen. Feiningers Sinn für lichte Farben ist besonders in den atmosphärischen Aquarellen spürbar, während Helldunkelkontraste die Dramatik seiner Kohlezeichnungen prägen. Zwischen rationalistischer Wiedergabe und sehnsuchtsvollem Ausdruck pendelnd, wirken seine Bilder zeitlos und visionär. Die Werke stammen aus der Graphischen Sammlung des Museum Kunstpalast, Düsseldorf, und des Museum Folkwang, Essen, sowie aus zwei Privatsammlungen. Ergänzt wird die Ausstellung um Leihgaben des Zeppelinmuseums, Friedrichshafen, und der Lyonel-Feininger-Galerie, Quedlinburg.