Im Rahmen der 2014 in Waiblingen stattfindenden Heimattage Baden-Württemberg präsentiert die Galerie Stihl Waiblingen erstmals seit ihrer Eröffnung im Mai 2008 eine Ausstellung dreidimensionaler Kunstobjekte aus Papier. Die gezeigten Arbeiten stammen von baden-württembergischen Künstlerinnen und Künstlern, die sich vorwiegend oder ausschließlich auf Arbeiten aus Papier spezialisiert haben.
Im Spannungsfeld von Körper und Raum entstehen fragile Papierobjekte, flächige Papiergüsse oder auch gefaltete Papierpolygone, filigrane, scheinbar schwerelos im Raum schwebende Gebilde und raumgreifende Installationen aus Papier. Es werden Werke gezeigt von Sabine K Braun, Josef Bücheler, Daniel Erfle, Gerhard Walter Feuchter, Eberhard Freudenreich, Barbara Lörz, Gabriele M. Lulay, Wilhelm Morat, Bernd R. Salfner und Hannelore Weitbrecht.
In einer Zeit modernster Techniken ist Papier noch immer nicht wegzudenken. Es umgibt uns täglich und fast überall. Papier ist ein über 2000 Jahre alter Werkstoff, der als Träger geistiger und göttlicher Botschaften einst sehr kostbar war, mit dem heutzutage allerdings oft leichtfertig umgegangen wird. Als künstlerisches Medium ist Papier bis in die Gegenwart unerschöpflich geblieben. Während in der Kunst früherer Jahrhunderte Papier in erster Linie als Zeichen- bzw. Malgrund diente, rückt die Beschaffenheit und Wertigkeit des Materials
im Laufe des 20. Jahrhunderts stärker in das Interesse der Künstler. „Papierkunst“ kommt in den 1960er-Jahren in den USA auf, als Papier autark und zum unabhängigen künstlerischen Sprachmittel wird. Es ist eines der vielseitigsten und flexibelsten Materialien – nicht nur in der Kunst. Papier kann leicht, zart, verletzlich, transparent, aber auch zäh, rau, hart, wild oder lichtundurchlässig sein. Papierkunst bietet den Künstlern fast grenzenlose Gestaltungsmöglichkeiten, die sie sich individuell für ihre jeweilige Arbeit aneignen.
Die Ausstellung zeigt zehn sehr unterschiedliche Positionen, sich künstlerisch mit Papier im Dreidimensionalen auseinanderzusetzen. Viele der Kunstwerke entstanden eigens für die Waiblinger Schau.
Josef Bücheler war einer der ersten Künstler in Baden-Württemberg, der Anfang der 1980er-Jahre begann, mit einfachen Materialien wie Papier, Weidenruten und Seil zu arbeiten. Durch das Zusammenspiel der gewählten Werkstoffe und deren Kräfte während des Arbeitsprozesses entstehen seine Objekte, bei denen das einfache Material und die reduzierte Form Inhalt und Aussage des Kunstwerks bilden. „Materialität und Immaterialität bilden die Pole meiner Arbeit“, sagt der Künstler.
Auch für Daniel Erfle war die Hinwendung zum Papier letztlich zwangsläufig. Sein Spektrum reicht von flächigen Papierrissen bis hin zu raumgreifenden Installationen aus gerissenen und gestalteten dreidimensionalen schwarzen Papierobjekten. Material ist bei ihm das maschinell hergestellte Papier.
Gerhard W. Feuchter dagegen fasziniert es, dass er seine Bild- bzw. Formträger weitgehend selbst herstellen kann. „Damit beginnt der ‚Schöpfungsakt‘ schon früher“, so Feuchter, als wenn er mit fertigen Papierbögen, Holzplatten oder Leinwänden arbeitet. Im sogenannten Papierguss-Verfahren lässt er zeichenhafte Objekte entstehen.
Für Barbara Lörz sind es ebenfalls die handwerkliche Note und die dafür erforderlichen Kenntnisse, die für sie den Reiz an der Arbeit mit Papier ausmachen. Schicht um Schicht legt sie Papier übereinander und schafft auf diese Weise in klarer, abstrakt geometrischer Formensprache Werke zwischen Bild und Objekt. Lörz arbeitet mit Fundstücken, die sie in der Natur und ihrer Umgebung vorfindet.
Das Wissen und das Beherrschen der Papierherstellung bilden auch die Grundlage für die Papierarbeiten von Wilhelm Morat. Die eigentliche Transformation zum Kunstwerk findet während des Trocknungsprozesses statt, bei welchem die unterschiedlichen Ziehkräfte von Papier und Draht raumgreifende Objekte entstehen lassen. Individuelles Wollen und Planen des Künstlers verbinden sich hier auf einzigartige Weise mit den Gesetzmäßigkeiten der Natur.
Gleichfalls von der Natur inspiriert sind die Werke von Hannelore Weitbrecht. Die Künstlerin sagt: „Da Papier selbst ein Naturprodukt ist, finde ich es das passende Material in Kombination mit den Fundstücken aus der Natur, die in meinen Objekten eine Symbiose eingehen und so die inhaltliche Aussage unterstreichen.“ Papier ist für Weitbrecht der ideale Werkstoff sowohl für kleinere Objekte wie auch für raumgreifende Installationen, in denen sie ihre eigenen Vorstellungen und Fantasien sichtbar werden lassen kann.
Ein ganz anderer künstlerischer Ansatz zeigt sich in den Papierpolygonen von Eberhard Freudenreich, der aus kleinen, goldenen, immer gleichen Fünf- und Vierecken die unterschiedlichsten amorphen Gebilde entstehen lässt. Linien und Formen sind die zentralen Elemente der Kunst Freudenreichs, welche er mit seinen Faltungen in den dreidimensionalen Raum überträgt.
Bernd R. Salfner dagegen lässt mit seinen „Schredderobjekten“ die Linie zu einer materiellen Spur im Raum werden. Aus geschredderten Karteikarten entstehen fragile körperhafte Gebilde. Der Künstler arbeitet zudem mit Bewegung und Licht, sodass die Figuren zu tanzen scheinen: sie bewegen sich aufeinander zu, berühren sich und lösen sich wieder auf.
Apparative, architektonische Rastersysteme, die vom Zufall und einer systematischen Unordnung geprägt zu sein scheinen, schafft Sabine K Braun. Auf der Suche nach Stabilität und Räumlichkeit entwickelte die Künstlerin ihr Verfahren und lässt aus kaschiertem Packpapier raumgreifende NetzInstallationen entstehen. „Papier ist Subtext meiner Arbeit und steht für Leichtigkeit, Modell, Vorläufigkeit“, sagt Braun.
Leichtigkeit und Transparenz sind zwei Aspekte, die auch die Arbeiten von Gabriele M. Lulay prägen. Papier erscheint hier als umhüllende Haut – gläsern, dünn, fragil und zerbrechlich. Mit der Technik des Papiernähens kreiert sie aus Transparentpapier lichtbeeinflusste Skulpturen von nahezu schwereloser Substanz.
Im Spannungsfeld von Körper und Raum entstehen in der Auseinandersetzung mit dem Material Papier die unterschiedlichsten faszinierenden Schöpfungen. Das Alltagsmaterial Papier wird zum autonomen Kunstwerk oder wie Wilhelm Morat es in seiner „Liebeserklärung“ an das Papier beschreibt: „Ich befreie das Papier von DIN-Normen und führe es zum Objekt in den Raum und es wird somit zur Metapher meines Künstlerlebens.“
Zur Ausstellung, die exklusiv in Waiblingen zu sehen ist, erscheint dank der großzügigen Unterstützung des Fördervereins „Freunde der Galerie Stihl Waiblingen e. V.“ ein Katalog.