Die Galerie Stihl Waiblingen beteiligt sich mit einer Ausstellung wertvoller Originalgrafi ken aus der Zeit um 1500 am Veranstaltungsreigen zum 500. Jubiläum des Bauernaufstands „Armer Konrad“. In der gesellschaftlich und politisch höchst spannenden Umbruchszeit traten in der Kunst zunehmend weltliche Themen wie Bauern, Liebespaare oder Feiernde neben religiöse Darstellungen. Neue Motive wurden zunächst vor allem in der Druckgrafi k erprobt: Die im 15. Jahrhundert entstandenen Techniken Holzschnitt und Kupferstich ermöglichten es den Künstlern erstmals, ein vielfältiges Themenspektrum für den freien Markt zu entwickeln und breitere Käuferschichten mit den vergleichsweise erschwinglichen Grafi ken zu erreichen. Ihre neuartigen Menschenbilder sind dabei geprägt von der frühneuzeitlichen Ständegesellschaft – Adel, Klerus, Bürger und Bauern – und lassen vor allem die damalige Sicht auf existenzielle Themen wie Liebe und Tod, Moral, Schönheit oder auch diverse menschliche Vergnügungen nachvollziehbar werden. Einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden
Darstellungen von Bauern. Die Landbevölkerung avancierte nach Anfängen im 15. Jahrhundert in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts und damit genau in der Zeit, in der sie zunehmend gesellschaftliche Mitsprache einforderte, zu einem beliebten Thema in der profanen Druckgrafik. Die bekannteste und einfl ussreichste Bauerndarstellung der Dürerzeit, Albrecht Dürers vielschichtiger, künstlerisch wegweisender Kupferstich eines ausgelassen tanzenden Bauernpaares, entstand vor genau 500 Jahren. Ausgehend von diesem grafischen Meisterwerk eröffnet die Ausstellung ein facettenreiches Panorama künstlerischer Blicke auf die Menschen an der Schwelle vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit. Die präsentierten Werke spiegeln das gesellschaftliche Umfeld des „Armen Konrad“ wieder und fächern eine faszinierende Bildwelt prallen Lebens auf.
Im ersten Teil der Ausstellung werden Werke gezeigt, die verschiedene Sichtweisen auf die Landbevölkerung der Dürerzeit repräsentieren: Bauern werden teils als hart arbeitende Stützen der Gesellschaft dargestellt, häufiger jedoch als exemplarische Figuren aus dem Bereich des sozial und moralisch Niederen geschildert und als „Bauerntölpel“ verspottet. Eine Reihe von Exponaten ist ausdrücklich vor
dem Hintergrund der Bauernaufstände entstanden und lässt u. a. die Verbindung des gesellschaftlichen Aufruhrs mit der Reformation nachvollziehbar werden. Die satirischen Blätter, welche die Bauern als lächerliche, lasterhafte „Narren“ bloßstellen, dienten dagegen der Selbstvergewisserung der in der traditionellen Gesellschaftsordnung überlegenen Stände und der Bewahrung althergebrachter Moralvorstellungen.
In der zweiten Ausstellungssektion werden Bilder zeitgenössischer Vergnügungen aufgefächert: Dabei wird nicht nur das beliebte, auch heute noch höchst faszinierende Thema „Bauernfest“ beleuchtet, das sich im 16. Jahrhundert zu einem eigenen, bis zu den berühmten Bauerndarstellungen Pieter Bruegels ausstrahlenden Genre ausbildete. Es werden darüber hinaus kontrastierende Motive aus dem bürgerlichen Milieu und aus der Sphäre des Adels – etwa Ball-, Turnier- oder Jagdszenen – in den Blick genommen.
Das dritte große Ausstellungskapitel widmet sich der künstlerischen Auseinandersetzung mit Liebespaaren und den in diesen Bildern vorgebrachten Moralvorstellungen. Dabei trifft der Besucher auf ein breites thematisches Spektrum: Die bildlichen Darstellungen reichen von Ehepaaren, die gemäß der traditionellen ständischen Ordnung geschildert werden, bis zu recht expliziten Bildern körperlicher Liebe bei bäuerlichen Liebespaaren. Sie stellen die Verbindungen ungleicher Paare vor, widmen sich dem Kampf der Geschlechter oder schildern unmissverständlich die Folgen unmoralischer, außerehelicher Beziehungen.
Die Exponate der Ausstellung Bauern, Tänzer, Liebespaare lassen eindringlich nachvollziehen, dass im Zuge des geistig-kulturellen
Aufbruchs der Dürerzeit der Mensch und seine vielfältige Lebenswelt ins Zentrum des künstlerischen Interesses rückte. Die dabei entstandenen grafischen Auseinandersetzungen mit existenziellen Menschheitsthemen – etwa mit der idealen Liebe oder den
menschlichen Lastern – ermöglichen spannende Einblicke in die Mentalität und in grundlegende Lebensfragen der Zeit um 1500. Darüber hinaus bietet die Ausstellung den Besuchern mit rund 100 Kupferstichen, Radierungen und Holzschnitten herausragender Künstler wie Martin Schongauer, Albrecht Dürer oder Lucas Cranach einen hohen ästhetischen Genuss.