Die in Kooperation mit dem Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, der größten Grafischen Sammlung in Deutschland, gezeigte Ausstellung „Neue Realitäten. FotoGrafik von Warhol bis Havekost“ widmet sich der künstlerischen
Verarbeitung fotografisch erstellter Bilder in der Druckgrafik seit den 1960er Jahren. Damit steht das vielschichtige und auch in der zeitgenössischen Kunst höchst präsente Phänomen des Transfers von Fotografien in die Grafik erstmals im Zentrum einer Themenausstellung.
Die Anfänge der Übertragung fotografischen Bildmaterials in die Künstlergrafik liegen in der Ära der Pop Art. Zu Beginn der 1960er Jahre reagierten in den USA – und in der Folge auch in West-Europa – viele Künstler auf die Produkte und massenmedial aufbereiteten Bilder der Konsumgesellschaft. Dabei stellt der Siebdruck, wie in der Ausstellung beispielsweise die Marilyn-Folge von Andy Warhol eindrucksvoll belegt, eine der ersten Techniken im Umgang mit fotografischen Vorlagen dar. Ein Phänomen der FotoGrafik wird gerade an diesem
Beispiel sehr deutlich: Künstler verwenden fotografische, bereits in reproduzierter Form vorgefundene Bilder und verfremden diese bei der Übertragung in die Druckgrafik. Ebenfalls in den 1960er Jahren machen Vertreter des sog. „Kapitalistischen Realismus“, zu denen mit Sigmar Polke und Gerhard Richter zwei der prominentesten deutschen Künstler zählen, mit dem Offsetdruck ein im Alltagsgebrauch weit verbreitetes Druckverfahren für künstlerische Arbeiten nutzbar.
Ausgehend von diesen Pionieren der künstlerischen Fruchtbarmachung der Fotografie für die Druckgrafik zeigen Arbeiten bekannter zeitgenössischer Künstler, u. a. von Olafur Eliasson, Rosemarie Trockel oder Christiane Baumgartner, die vielfältigen inhaltlichen Herangehensweisen und formalen Aspekte des Themas „Foto trifft Grafik“. Dabei ergeben sich die verschiedensten Formen sowohl der Bild- und Medienreflexion als auch der künstlerischen Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Wirklichkeiten.
Die gezeigten Arbeiten stellen zum einen unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten und Strategien des künstlerischen Umgangs mit fotografischen Bildern vor (u. a. Collage, Raster, Pixel, Unschärfe). Zum anderen werden inhaltliche Aspekte wie die künstlerische Verarbeitung gesellschaftlich präsenter Themen durch die Verwendung von aus den Massenmedien bekannten Bildern aufgezeigt (u. a. Starkult, Werbung, Vietnam-Krieg, RAF). In jedem Fall transportiert die Fotografie in der Druckgrafik auf ganz eigene Weise die Wirklichkeit der dargestellten Gegenstände und Ereignisse. Gleichzeitig gewinnt die Fotografie im Medium der Druckgrafik selbst einen neuen Realitätsgrad.
Das künstlerische und technische Spektrum der gezeigten Arbeiten ist höchst facettenreich: Neben den von „trivialen“ Druckerzeugnissen übernommenen Verfahren Sieb- und Offsetdruck werden von den Künstlern traditionelle Techniken wie Holzschnitt (Franz Gertsch), Radierung (Chuck Close), Lithografie (Robert Rauschenberg) und Fotogravüre (Christian Boltanski) angewendet, um fotografische Vorlagen in „Neue Realitäten“ zu überführen. Durch die digitale Erstellung und Bearbeitung von Fotografien kamen seit den 1990er Jahren neue, automatisierte Druckverfahren hinzu, welche zu einer Aufweichung der Grenzen zwischen klassischer Druckgrafik und dem Fotoprint führen (Martin Borowski, Kai Schiemenz).
Die Ausstellung zur FotoGrafik kreist um ein höchst spannendes Phänomen in der neueren Druckgrafik, das deren Charakter seit den 1960er Jahren in besonderem Maße geprägt und maßgeblich verändert hat. Die überwiegend großformatigen Arbeiten, für die der großzügige
Waiblinger Galerieraum geradezu prädestiniert ist, repräsentieren eine in den Ausstellungen der Galerie Stihl Waiblingen bislang nicht berücksichtigte Seite der Bildenden Kunst und eröffnen weitere interessante Einblicke in die Vielfalt der Kunst auf Papier.
Die Ausstellung präsentiert rund 120 Werke von John Baldessari, Christiane Baumgartner, Bernd & Hilla Becher, Christian Boltanski, Chuck Close, Tacita Dean, Olafur Eliasson, Hans-Peter Feldmann, Franz Gertsch, Eberhard Havekost, Richard Hamilton, Carsten Höller, Jasper Johns, Thomas Kilpper, Michael Morgner, Eduardo Paolozzi, Sigmar Polke, Mel Ramos, Robert Rauschenberg, Gerhard Richter, Kai Schiemenz, Peter Sorge, Klaus Staeck, Simon Starling, Jan Svenungsson, Al Taylor, Rosemarie Trockel, Wolf Vostell, Andy Warhol und anderen.
Es erscheint ein Katalog, herausgegeben vom Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin von Andreas Schalhorn, mit weiteren Beiträgen von Hubertus Butin und Zara Reckermann.