COLLAGE! DÉCOLLAGE!!

4. Juni bis 28. August 2016

Die Ausstellung Collage! Décollage!! widmet sich einer künstlerischen Technik, der die Künstler des 20. Jahrhunderts große Aufmerksamkeit schenkten. Fasziniert von den Mög - lichkeiten, aus zerrissenen Papieren neue Realitäten zu schaf - fen, fügen sie in ihren Bildern die Dinge nach dem Gesetz des Zufalls zusammen. Es entstehen freie Konstruktionen aus der spontanen Anordnung von Papieren, Zeitungsausschnitten oder Plakaten, deren Reiz auch darin besteht, dass Fundstü - cke des Alltags zu einer anderen, künstlerischen Wirklichkeit verwandelt werden. Wie in keiner anderen bildnerischen Vorgehensweise führen Collagen das physische Arbeiten mit dem Material Papier vor Augen. Das Prinzip der Collage, Papierstücke und Materialien nebeneinander zu kleben und aus gefundenen Dingen neue Zusammenhänge herzustellen, ermöglicht eine vielfältige künstlerische Gestaltung. Losgelöst von der Aufgabe, die Natur nachzuahmen oder Abbilder zu schaffen, entstehen fantasiereiche Bilder mit Sinn für die Darstellung wunder - samer, komischer Geschöpfe. Sie sind aus gerissenen oder geschnittenen Papieren unterschiedlicher Beschaffenheit zusammengesetzt, die auf einen Bildträger aufgeklebt (franz. coller) werden. Ergänzt mit Tusche oder Kohle, vollendet der Künstler sein improvisiert wirkendes Bild, das aus einer mehr oder weniger zufälligen Anordnung einzelner Schnipsel entstanden ist. Anders verhält es sich bei der künstlerischen Praxis der Décollage. Ein gegenteiliges Verfahren kommt bei dieser Vor - gehensweise zum Tragen, bei dem schon übereinanderlie - gende Papiere bearbeitet, auseinandergezupft, angerissen oder partiell freigelegt werden. Erst dann wird das Material zu neuen Kompositionen zusammengesetzt. Wild überlagern - de Schichten verdichten sich zu reliefartigen Oberflächen. Aus Papierabrissen von Plakaten, Reklamen oder Annoncen fügen sich farbenreiche Arrangements zu Bildern, deren fragmentarischer Charakter den Betrachter zu Assoziationen provoziert. Die Reste von Typografie spielen mit der Verfrem - dung von figurativen Elementen. Gerichtet gegen die abstrakten Tendenzen der Malerei nach 1945, etablierte eine kleine Künstlergruppe, die sich in Paris zusammengefunden hatte, das zerrissene Schriftplakat als künstlerisches Medium.

Die französischen Protagonisten dieser post-avantgardistischen Bewegung, darunter Raymond Hains (1926–2005) und Jacques Villeglé (*1926), kehren Ende der 1940er-Jahre mit der Décollage das Prinzip der Collage um. Im Gegensatz zur traditionellen Collage, bei der gerissene und geschnittene Papiere neben- und übereinander geklebt werden, zeigen ihre aus Plakatabrissen entstehenden Décollagen eine andere Facette des Arbeitens mit Papier. Von öffentlichen Wänden bei Streifzügen durch die Stadt heruntergerissen, trägt das von Passanten und von Verwitterung malträtierte Material Spuren der Zerstörung. Die Modifikationen der künstlerischen Gestaltung verleihen ihm eine neue Bedeutung. Das Bild wandelt sich zum Spiegel der Realität mit bizarren Effekten.

Die Décollage ist reines Material. Diesen Aspekt rückt das Werk des dänischen Künstlers Asger Jorn (1914 –1973) in den 1960er-Jahren in den Fokus. 1964 wendet sich der herausragende Vertreter des experimentellen Expressionismus und einer der wichtigsten modernen Künstler Skandinaviens der Décollage zu. Zuvor hatte er 1956 eine Folge von Collagen gefertigt, nach ersten Arbeiten in dieser Technik, die in der Tradition von Max Ernst (1891–1976) und Hans Christian Andersen (1805–1875) stehen. Ähnlich spielerisch arrangiert Jorn nun das widerspenstige Material, um aus den zusammenklebenden Papierbatzen ausdruckstarke Arbeiten hervorzubringen. Beim Décollagieren löst er zuerst die einzelnen Schichten voneinander und zupft Stücke aus dem Papier. Durch das Entschichten übereinander klebender Papiere gelangt er zu einem raffinierten Werkaufbau, indem er aus der Mannigfaltigkeit versetzt abgerissener Papierkanten malerisch anmutende Décollagen formt, die wie Wandreliefs wirken. Sie zeigen abstrakte Formen und erkennbare Figuren: Es sind Landschaften und Tiere zu entdecken, aber auch lineare Strukturen oder monochrome Flächen zu sehen.

Poetisch klingende Werktitel setzen beim Betrachter vielerlei Assoziationen frei. Jorns Décollagen, die das Prinzip des Collagierens integrieren, sind figurativ, abstrakt, farbintensiv, zart, opulent, malerisch, plakativ, reliefhaft oder flach. Die Ausstellung zeigt, wie die Kunst der Dé-/Collage der Spontaneität und Expressivität Raum verschafft. Die Werke stammen aus privaten und öffentlichen Sammlungen in Dänemark, Deutschland und Frankreich. Für die großzügige Unterstützung der Waiblinger Ausstellung danken wir herzlich allen Leihgebern. Asger Jorn, Carpe postale*⁄ Postkarpfen, 1968 Collage und Aquarell auf Papier, Kunsthalle Emden - Stiftung Henri und Eske Nannen und Schenkung Otto van de Loo.

Die Ausstellung ist Teil der Veranstaltungen zum Jahresmotto 2016 „Europa“ der Stadt Waiblingen.