Zu Jahresbeginn entführt die Galerie Stihl Waiblingen in die schillernde Welt Montmartres um 1900. Der berühmt-berüchtigte Stadtteil von Paris galt um die Jahrhundertwende als Zentrum des Vergnügens. Unzählige Cabarets, Varietés und Tanzlokale versprachen unvergleichliches Amüsement. In einzigartiger Weise setzte Henri de Toulouse-Lautrec die Attraktionen und Stars des Pariser Nachtlebens nicht nur ins Bild, sondern warb auch für sie. Für das Moulin Rouge, den Sänger Aristide Bruant oder die Tänzerin Jane Avril schuf Toulouse-Lautrec aufsehenerregende Plakate.Treffend erfasste er die Eigenheiten der Bühnengrößen – ungeschönt und oft an der Grenze zur Karikatur. Gewagte Kompositionen, ausdrucksstarke Figuren und das Spiel mit der Ab- straktion kennzeichnen seine herausragend mo- dernen Entwürfe.
Die Galerie Stihl Waiblingen zeigt das vollständige Plakatwerk des Künstlers in Gegenüberstellung mit Arbeiten seiner Zeitgenossen – war Toulouse-Lautrec doch nicht der Einzige, der seine Kunst in den Dienst der Plakatwerbung stellte. Das noch junge Medium weckte das Interesse der Avantgarde; Pierre Bonnard oder Félix Vallotton etwa schufen eingängige Werbemotive. Andere Künstler wie Jules Chéret, Alfons Mucha, Eugène Grasset oder Théophile-Alexandre Steinlen spezialisierten sich sogar auf Plakatgestaltung. Sie entwickelten ganz eigene Motive und Gestaltungsweisen, die zu regelrechten Markenzeichen werden sollten. In Chérets heiter-beschwingten Werbedamen scheinen die Vergnügungen, die Paris bot, idealtypisch verkörpert, während Grassets verträumte Frauenfi guren in realitätsferne Wunschwelten entführen. Muchas ornamentreiche, opulente Entwürfe sind dagegen der Inbegriff des französischen Jugendstils. Sie erfreuen sich bis heute größter Beliebtheit, ebenso wie die Katzendarstellungen Steinlens, darunter das berühmte Plakat für die Tournee des Pariser Cabarets Le Chat noir.
Ob sie für Varietés, Zeitschriften, Fahrräder oder Kakao warben: Die Plakatentwürfe dieser Künstler begeisterten Kunstkritiker wie Sammler gleichermaßen. Plakate wurden unabhängig von ihrem eigentlichen, kommerziellen Zweck betrachtet und stiegen so in den Rang einer eigenen Kunstform auf. Die über und über mit Werbeplakaten bedeckten Anschlagflächen wurden als „Galerie der Straße“ angesehen, die der breiten Öffentlichkeit die Kunst der Zeit nahebringen sollte.
Rund 100 Hauptwerke zeigen in der Galerie Stihl Waiblingen die überraschend facettenreiche und eindrückliche Verbindung von Kunst und Massenwerbung im Frankreich der Jahrhundertwende. Die Plakate geben Einblick in die damalige Lebenswelt, offenbaren mit verführerischen Bildern Wünsche und Sehnsüchte und lassen so den Geist der Zeit nachempfinden.
La Bohème. Toulouse-Lautrec und die Meister von Montmartre beleuchtet die Blüte der französischen Plakatkunst um 1900 und stellt deren wichtigste Vertreter vor. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Institut für Kulturaustausch Tübingen und dem Musée d’Ixelles in Brüssel. Letzteres ist mit seinen reichen Beständen zum Plakat der Jahrhundertwende Hauptleihgeber der Schau. Ergänzt wird die Präsentation durch erhellende Zeitzeugnisse aus dem Besitz der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, der Württembergischen Landesbibliothek sowie des Deutschen Literaturarchivs Marbach.