Die Auftaktausstellung 2014 der Galerie Stihl Waiblingen widmet sich einem der vielseitigsten und bekanntesten deutschen Humoristen des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts: Vicco von Bülow alias Loriot (1923 – 2011). Die Schau stellt Loriot als Zeichner vor und macht die Vielfalt seines zeichnerischen Könnens erfahrbar, das von der reduzierten satirischen Zeichnung über skurrile Buntstiftzeichnungen bis hin zu altmeisterlich ausgeführten Aquarellen reicht.
Am 12. November 2013 wäre Vicco von Bülow, der durch seine humoristischen Arbeiten in Stern, Weltbild und Quick berühmt wurde, 90 Jahre alt geworden. 1923 in Brandenburg geboren, wuchs Loriot in Berlin auf und studierte Malerei und Grafik an der Hamburger Landeskunstschule. Loriots Lebenswerk ist auf einzigartige Weise mit der Alltagskultur der Bundesrepublik Deutschland verbunden – ihre Bürger, die wichtigen gesellschaftlichen Ereignisse und besondere politische Momente wurden von Loriot in Bild, Film und Text festgehalten. Mit seinen scheinbar unpolitischen Karikaturen kritisiert Loriot auf eine ganz subversive Weise die gesellschaftlichen Verhältnisse. Er lässt den Normalbürger an den Tücken des Alltags scheitern und macht damit die vermeintlich guten Sitten der bürgerlichen Gesellschaft lächerlich. Loriot kannte die Gesellschaft, Politik und auch die Literatur der Deutschen besser als viele andere.
Seine künstlerische Perfektion definiert die Einzelheiten bis ins kleinste Detail. Loriots Arbeiten vereinen Satire und Sarkasmus, Parodie und Persiflage, Absurdität und Nonsens, wobei kein Stilmittel in dieser meisterlichen Mixtur vorherrschend ist.
Einfälle gibt es eigentlich nicht, sondern jede Pointe, jede Zeichnung steht am Ende einer Gedankenkette, einer Konstruktion, und wenn man Glück hat, kommt am Ende eine Pointe raus, so was ähnliches wie eine Pointe. Also es ist Arbeit, ziemlich harte Arbeit. (Loriot)
Die Waiblinger Ausstellung ist eine Spätlese, es werden viele erst jüngst veröffentlichte Arbeiten aus dem Früh- und Spätwerk gezeigt. Neben Zeichnungen aus den 1950er und frühen 60er Jahren, den sog. Frühstücken, stellt sie nie gesehene Möpse vor: „Ein Leben ohne Mops ist möglich aber sinnlos“ (Loriot). Auch zeigt die »Spätlese« in der Sektion Privates und Halbprivates erstmals Geschenkblätter, die für Freunde, Bekannte, Familienmitglieder, Prominente und Gemeinden gezeichnet wurden.
Ein weiteres Ausstellungskapitel widmet sich Großen Deutschen und präsentiert Blätter aus der 1998 fertiggestellten Kunstmappe ca. 8 Portraits. Die Reihe Große Deutsche war von Loriot ursprünglich als Buch angelegt. Neben Albrecht Dürer, Johann Wolfgang v. Goethe, Friedrich Schiller und Richard Wagner portraitierte er weitere „bedeutende Vertreter seiner Nation“ in Zeichnungen, die anschließend aufwendig aquarelliert wurden.
Schon auf den ersten Blick in das Antlitz eines bedeutenden Menschen nimmt man die Spuren wahr, die ein großes Leben hinterließ. (Loriot)
Gemeinsames Charakteristikum aller Portraits bildet die bekannte Knollennase, die in starkem Kontrast zu den strengen Posen der Dargestellten steht und jegliche Ernsthaftigkeit aus den Darstellungen verbannt. Erweitert werden diese Aquarelle in der Ausstellung durch Skizzen und einige zusätzliche Bildnisse bedeutender Deutscher, deren Zahl der Humorist selbst zu jener Zeit auf 82.000.000 schätzte.
Neben Zeichnungen sind in der Ausstellung Fotografien zu sehen, die Loriot für sein Gästebuch aufnahm. Loriot ersetzte den handschriftlichen Eintrag in ein Buch durch ein Foto seiner Gäste, die sich an einer Säule selbst in Szene setzen durften. So entstand im Hause von Bülow über die Jahre hinweg eine imposante Fotogalerie – die Abzüge wurden von Loriot sorgsam in einer Schachtel aufbewahrt. Die Gästeaufnahmen bieten dem Besucher einen Einblick in den vielseitigen Personenkreis um Loriot, darunter Prominente und Künstlerkollegen, und stellen ihn gleichzeitig als Fotografen vor.
Die Aufnahmen gelten auch als Vorstufe zum bewegten Bild, seinen Sketchen, die ihn zwischen 1967 und 1978 einem breiten Fernsehpublikum bekannt machten. Hierbei agierte er ebenso als Autor, Regisseur und Darsteller, wie in den Jahren 1988 und 1991 in Ödipussi und Pappa ante portas, zwei der erfolgreichsten deutschen Kinokomödien. Früh erhielt Loriot Aufträge als Zeichner von Werbeillustrationen, die zunächst fremd produziert und getextet wurden. Die Zeichentrickspots, die folgten, entstanden hingegen bereits Ende der 1960er Jahre in Eigenregie. So produzierte Loriot beispielsweise eine Reihe von Werbefilmen für die Firma Stanwell, Hersteller von Pfeifentabak. Die Ausstellung zeigt einige selten ausgestrahlte Zeichentrick- und Werbefilme.
Einblicke in Loriots Gedankenwelt zu Kultur und Bildung erhält der Besucher in einem eigens für die Ausstellung Spätlese erzeugten Hörspielmonolog aus einem unveröffentlichten Interview von 1985. Das Tondokument gibt Auszüge aus einem Gespräch zwischen Loriot und einer Abiturientengruppe des Stuttgarter Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums wieder. Darin erklärt er u. a., weshalb man zwar ohne Trigonometrie das Leben bestreiten könne, nicht aber ohne Schiller und Shakespeare. Loriot selbst war Schüler des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums in Stuttgart.
Als ein weiterer Höhepunkt werden dem Besucher ungewöhnliche Arbeiten aus Loriots Spätwerk vorgestellt: die sogenannten Nachtschattengewächse. Loriot litt zeitlebens an Einschlafschwierigkeiten: Die schlaflosen Stunden nutzte er noch im hohen Alter für Buntstift- und Gel-Schreiber-Zeichnungen sowie Collagen. Inspiriert vom Kubismus und weiteren Strömungen der modernen Kunst verarbeitete er das private Tagesgeschehen und historische Ereignisse in seinen teils skurrilen Fantasien.
Mit großer Neugier begegne ich dem Wachstum nächtlicher Schatten. Nichts wird vertrieben, alles wird ebenso geliebt wie verwurstet.(Loriot)